Für Vordenkerinnen und Vordenker

Vordenker-Preis: Die Skulptur von Franz Heinz Beeck

„Wahre Kunst ist eigensinnig, sie lässt sich nicht in schmeichelnde Formen zwängen.“

Wir wissen heute leider nicht, in welchem Zusammenhang Ludwig van Beethoven diese Gedanken niederschrieb. Doch die Kritik an einer allzu gefälligen Musik, die hinter diesem Statement hervortritt, lässt sich allgemein auf die Kunst übertragen.

Auch die Plastik, die der Bildhauer Franz Heinz Beeck als „Querdenker“ geschaffen hat, ist eigensinnig. Denn Franz Heinz Beeck, dem der Nationalsozialismus seine Jugend raubte und der als 17jähriger noch in den schon verlorenen Krieg ziehen musste, ist kein angepasster Künstler.

Viele Künstler der Nachkriegszeit kehrten der Gegenständlichkeit den Rücken. So glaubten sie den überhöhten Realitätsbezug nationalsozialistischer Darstellungen überwinden und ausrotten zu können. Franz Heinz Beeck dagegen hielt an der menschlichen Figur fest, entmystifizierte sie aber. Bei ihm begegnen wir der menschlichen Fi-gur nicht mehr als einem Helden oder treuen Diener eines Systems. Auch eine bloße Abbildung ist nicht das Ziel seiner Darstellung. Vielmehr dient die Figur der Verbildlichung einer übergeordneten Thematik.

So mag manch einer die kleine „Querdenker“- Büste vielleicht als unvollständig oder in ihrem außergewöhnlichen Erscheinungsbild gar als Folge eines Missgeschicks erkennen wollen. Dies hieße aber, dass der Bild- hauer eine ganz gewöhnliche Darstellung eines menschlichen Kopfes habe schaffen wollen, vielleicht auch ein geschöntes Ab-bild der Realität. Dies wären eben jene schmeichelnden Formen, von denen Beethoven spricht. Etwas Gefälliges also.

Dies aber ist der „Querdenker“ nicht. Solchermaßen würde er auch nicht dem Anspruch genügen, der mit der hier ausgelobten Auszeichnung verbunden ist. Soll er doch symbolisch solchen Personen übergeben werden, die eben nicht mit dem Strom schwimmen oder geschwommen sind, sondern eigene Ideen entwickeln, eben durchaus auch einmal querdachten oder -denken. Dass man dabei auch schon einmal aneckt, sich Blessuren und Schrammen holt, ist bekannt. Dem muss auch die künstlerische Gestaltung, will sie tragfähig sein, entsprechen.

Für den gelernten Holz- und Steinbildhauer Beeck ist es ein erklärtes Ziel, durch seine Formgebung immer auch einen spezifischen Ausdruck, eine inhaltliche Bestimmung sichtbar werden zu lassen. Gleichzeitig aber bleibt diese Formgebung bei ihm an ein Gegenüber in der Realität, hier den menschlichen Kopf, gebunden. Dennoch ist dieser nicht selbst Thema und Ziel der Darstellung. Wenn man so will, ist die äußere Erscheinung des Kopfes nur ein Vehikel, ein Transportmittel für die dahinter stehende inhaltliche Aussage. Nicht umsonst verorten wir im Kopf unsere Fähigkeiten zu denken und sich gestaltend zu betätigen, auch sich einzumischen.

Daher entspricht die kleine Büste auch nicht den üblichen Erwartungen, die man an die plastische Darstellung eines menschlichen Kopfs stellen kann. Indem der Bildhauer, den Kopf sowohl im Hinblick auf das Detail also auch in Körper- und Stofflichkeit reduzierte, hat er sich auf das Wesentliche konzentriert. Die Büste oder Kopfmaske eines bestimmten Mannes kann also nicht gemeint sein. Eine solche Wiedererkennbarkeit hätte der inhaltlichen Bestimmung entgegengestanden.

Vielmehr zielt die Darstellung auf den Menschen schlechthin. Reduktion und Entpersonalisierung führen zu Konzentration und Verdichtung, die letztlich die Frage nach dem Wesen menschlichen Denkens stellen. Aber damit nicht genug: Zusätzlich ist die Kopfmaske auch noch unvollständig. Quer durch das rechte Auge hindurch ist sie abgebrochen. Es fehlen größere Teile der Stirn und des Kopfansatzes. Auch auf die hohe Denkerstirn müssen wir verzichten. Das wäre zu offensichtlich.

Vielmehr erscheint uns die Büste so, als sei ein Blitz durch den Kopf hindurchgefahren und habe ihn gespalten. Ein Gedankenblitz ? Die Idee für etwas Neues, Anderes? Hierin legt uns der Bildhauer nicht fest. Indem er aber durch seine Plastik unsere eigenen Gedanken anstößt, schickt er uns auf den Weg, lässt uns selbst nach Antworten suchen. Antworten auf die Frage: Was ist ein „Querdenker“?

Dr. Ulrike Fuchs | Kunsthistorikerin | Westerburg