Für Vordenkerinnen und Vordenker

Die Verleihung des Vordenker-Preises an Nikolaus Warken und die Stiftung Rechtsschutzsaal

Zur Feierstunde am 20. November 2018 im Rathaus der Stadt Friedrichsthal

Rechtsschutzverein und Rechtsschutzsaal

Heutzutage ist die Versammlungsfreiheit ein vom Grundgesetz (GG) geschütztes Recht: Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln (Art. 8 Abs. 1 GG). Lediglich für Versammlungen unter freiem Himmel wird dieses Recht durch das Versammlungsgesetz eingeschränkt, indem eine Pflicht zur Anmeldung vorgeschrieben wird. Zahlreiche Entscheidungen von Verwaltungs- und Verfassungsgerichten zum Verbot einer Demonstration oder Gegendemonstration, zum Ort oder Zeitpunkt einer Demonstration belegen, dass die Wahrnehmung dieses Rechts auch im Zeitalter der Internetkommunikation seine Bedeutung nicht verloren hat. Neben der Versammlungsfreiheit wird auch die Vereinigungsfreiheit vom Grundgesetz geschützt (Art. 9 Abs. 1 GG). Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, wird besonders geschützt (Art. 9 Abs. 3 GG).

Anders die Situation im Deutschen Kaiserreich und im Königreich Preußen in den 1880er Jahren: Nach § 1 Abs. 1 des Gesetzes gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie vom 21. Oktober 1878 sind „Vereine, welche durch sozialdemokratische, sozialistische oder kommunistische Bestrebungen den Umsturz der bestehenden Staats- oder Gesellschaftsordnung bezwecken“, zu verbieten; gleichermaßen zu verbieten sind „Versammlungen, von denen durch Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sie zur Förderung“ derartiger Bestrebungen bestimmt sind (§ 9 Abs. 2 dieses Gesetzes); und derjenige, „der für einen verbotenen Verein oder eine verbotene Versammlung Räumlichkeiten hergibt, wird mit Gefängnis von einem Monat bis zu einem Jahr bestraft“ (§ 18 dieses Gesetzes).

Vor dem Hintergrund dieses Gesetzes wundert es nicht, dass Bergleute im Jahr 1889 in Bildstock einen Verein gründeten, dessen Gegenstand – zumindest auch – Rechtsberatung und Rechtsbeistand war und dessen Name „Rechtsschutzverein für die bergmännische Bevölkerung der Oberbergamtsbezirks Bonn“ lautete. Und obwohl das „Sozialisten“-Gesetz im Jahr 1890 außer Kraft getreten ist, verwundert es nicht, dass der Vorsitzende dieses Vereins Nikolaus Warken den Bau eines eigenen Vereinsheimes, einer Versammlungsstätte angestoßen hat, weil sie Unabhängigkeit versprach. Der Rechtsschutzsaal wurde am 11. September 1892 eingeweiht und bot bis zu 1.000 Menschen Platz. Er ist damit das älteste Gewerkschaftsgebäude in Deutschland.

Die Stiftung Rechtsschutzsaal sorgt heute für bauliche Unterhaltung des historischen Gebäudes und bietet mit ihm eine moderne, vielfältig nutzbare Versammlungs- und Veranstaltungsstätte.

Podiumsdiskussion und Laudatio

Susanne Wachs, Moderatorin bei SR 3, Olaf Jaeger, Rechtsanwalt und Präsident des Saarländischen Anwaltvereins, sowie Rolf Schultheis, Bürgermeister der Stadt Friedrichsthal und Vorsitzender der Stiftung Rechtsschutzsaal, begrüßten die Gäste. Zusammen mit Regina Görner, Ministerin für Frauen, Arbeit, Gesundheit und Soziales a. D., und Eugen Roth, stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbunds Rheinland-Pfalz / Saarland und Mitglied des Landtags, nahmen sie an einer Podiumsdiskussion zur Zukunft des Rechtsschutzsaales teil. Görner erinnerte an das Eintreten von Warken für das Recht der Bergleute gegen die Macht des preußischen Bergfiskus. Wachs illustrierte die Abhängigkeit der Bergleute und ihrer Familien vom Bergfiskus an einem Beispiel: Die Auflehnung eines Bergmannes gegen die Arbeitsbedingungen wurde vom Bergfiskus mit Entlassung bestraft. Und die anschließende Beschäftigung des entlassenen Bergmanns bei einem Fuhrunternehmer wurde auf Druck des Bergfiskus beendet, weil der Fuhrunternehmer seinerseits vom Bergfiskus wirtschaftlich abhängig war. Roth erinnerte an heutige prekäre Beschäftigungsverhältnisse wie einen Essens-Ausfahrer, welche sich von den (heutigen) Arbeitsverhältnissen in den Unternehmen der Montan-Industrie (Kohle und Stahl) mit ihrer besonderen Arbeitnehmer-Mitbestimmung grundlegend unterscheiden.

Die Laudatio zu Ehren von Nikolaus Warken hielt Roland Theis, Staatssekretär im Ministerium der Justiz des Saarlandes. Theis betonte die Notwendigkeit, damals wie heute für die Herrschaft des Rechts als Gegenmodell zur Herrschaft des Stärkeren einzutreten. Warken habe den Rechtsschutzverein gegründet, der den Bergleuten unabhängig von Partei und Konfession offen stand; Warken habe soziale Missstände beseitigen wollen, jedoch keinen grundlegenden Umsturz propagiert: „Bildstock war nicht Trier“, mit Karl Marx habe Warken nicht viel anfangen können. Warkens „Antwort auf Unrecht war nicht Gewalt, sondern Rechtsschutz“, seine „Antwort auf Versammlungsverbote unter freiem Himmel war der Bau der Rechtsschutzsaales.“

Feierlicher Rahmen im Festsaal des Rathauses der Stadt Friedrichsthal

Der Festsaal des Rathauses der Stadt Friedrichsthal, auf deren Gebet sich der Rechtsschutzsaal befindet, und die Bergmannskapelle bildeten den feierlichen Rahmen für die Verleihung des Preises sowie die Gespräche über Rechtsberatung und Gewährung von Rechtsschutz – gestern und heute.

Vom Rechtsschutzsaal zu den Rechtsberatungsstellen

Seit dem Jahr 2018 betreibt der Saarländische AnwaltVerein – im Auftrag des Landes – Rechtsberatungsstellen in den Amtsgerichten Merzig, Neunkirchen und Saarbrücken. Engagierte Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte bieten Bürgerinnen und Bürgern Rechtsberatung an, sofern die Voraussetzungen der Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe vorliegen. Bedarf an „niedrigschwelliger“ Rechtsberatung bestand nicht nur im Jahr 1888, sondern besteht auch noch heute.

Manuel Schauer | Rechtsanwalt | Justiziar SHS-Stahl-Holding-Saar