Für Vordenkerinnen und Vordenker

Laudatio zu Ehren von Nikolaus Warken

Ich freue mich sehr, heute die Laudation im Rahmen der 1. Verleihung des Vordenker-Preises halten zu dürfen. Ein Preisträger, der – das will ich im Folgenden begründen – geradezu perfekt der Grundidee einer Initiative des Saarländischen Anwaltvereins entspricht.

Bevor ich einige Worte zu Nikolaus Warken verliere, möchte ich dem Saarländischen Anwaltverein herzlich zu dieser Idee gratulieren: einen Preis ins Leben zu rufen, der die besondere Bedeutung des Rechts für das menschliche Miteinander hervorheben soll und der gleichzeitig auch die Menschen zu ehren bestimmt ist, die einen großen Beitrag zum Erhalt des Saarlandes und seiner Institutionen sowie zu einem gemeinschaftlichen Miteinander leisten oder geleistet haben.

Dies ist nicht nur eine großartige Idee, sondern auch eine Initiative, die gerade in unseren Tagen zum richtigen Zeitpunkt zu kommen scheint: Denn der Eintritt für die Herrschaft des Rechts als Gegenmodell zur Herrschaft des Stärkeren ist heute – leider – so aktuell wir schon lange nicht mehr. Und daher bin dem Saarländischen Anwaltverein dankbar, diese Initiative ergriffen zu haben. Einfach eine gute Idee!

Nikolaus Warken ist ein würdiger Preisträger des Vordenkerpreises, den Sie heute erstmalig vergeben. „Der erste Saarbergmann, der aus der Anonymität hervortrat, der namentliche Spuren in der Geschichte unseres Landes hinterließ“ – so beschreibt der deutsche Historiker Professor Klaus-Michael Mallmann im Rückblick das Wirken des Arbeiterführers und Gewerkschaftspioniers Nikolaus Warken genannt Eckstein.

Denn: Nikolaus Warken genannt Eckstein hat Spuren in diesem Land hinterlassen, nicht nur historische, sondern auch solche, die man in der Wirtschafts- und Sozialgeschichte unseres Landes bis in die politischen Realitäten unserer Zeit nicht bloß nachlesen, sondern eben auch heute noch erleben kann. Man kann an der Lebensgeschichte und am Wirken Warkens Kontinuitäten entdecken, die sich wie rote Linien bis in die Gegenwart durchziehen und – so jedenfalls meine Bewertung – unser Land noch heute im Guten prägen.

Dies gilt selbstverständlich zunächst für die Bedeutung, die das Wirken von Warken für die Gewerkschaftsbewegung im Saarland objektiv hat. Als Streikführer Ende der 80er Jahre des 19. Jahrhunderts für die Einführung eines achtstündigen Arbeitstages, den Wegfall der unmenschlichen „Einsperrungsthüren“ sowie einen Mindestlohn von 4 Mark am Tag stand er am Anfang dieser Bewegung, die unser Land geprägt hat. Das Leitbild Warkens war bereits damals der Gedanke einer Einheitsgewerkschaft. Der Rechtsschutzverein stand den Bergleuten an der Saar unabhängig von Partei und Konfession offen. Er verstand sich stets als jemand, der die schrei- enden sozialen Missstände im Rahmen der Selbsthilfe beseitigen wollte, jedoch keinen grundlegenden Umsturz propagierte. Im Gegenteil: Man beschrieb ihn eher als gläubigen, bescheidenen Mann und gerade nicht als Revoluzzer. In seiner Person kann man eben auch die tiefe Verwurzelung der Bergleute im katholischen Glauben wiedererkennen, die die Arbeiterbewegung an der Saar besonders geprägt hat.

Und wenn bis heute die Präsenz des christlichen Kreuzes im Landtag des Saarlandes – immerhin ein Unikum im deutschen und europäischen Parlamentarismus – nicht auf den Widerstand der parlamentarischen Linken stößt, dann ist auch dies ein Ausdruck der viel gerühmten Harmonie der Widersprüche – wie sie Ludwig Harig unserem Land attestiert. DER SPIEGEL schreibt hierzu 1983 in einem Portrait über Oskar Lafontaine: „Hier ist das Nebeneinander von Unstimmigkeiten und Gegensätzen jahrhundertealte Tradition, scheinbar Unvereinbares fügt sich zu einer saftigen Einheit: Kohle und Wein, Stahl und Wald, Großkonzerne und Kleinbauern, Glauben und Gewerkschaften. Seit Generationen hin und her gezerrt zwischen Franzosen und Deutschen, beherrscht von Magnaten an der Ruhr oder Präfekten aus Lothringen, haben die Saarländer gelernt, selbst zurechtzukommen und es gleichzeitig anderen recht zu machen. Ihre Pragmatik und ihre Schlitzohrigkeit, ihre Frömmigkeit, ihr lebensfrohes Zusammengehörigkeitsgefühl, ihre Sturheit und ihre Ohnmacht haben ein eigenständiges Lebensgefühl geprägt.“

Wenn man sich diese Charakterisierung vor Augen führt, fällt einem auf, wie stilprägend eben auch das Leben und Wirken von Nikolaus Warken für unser Land bereits 100 Jahre zuvor gewesen ist. Die Antwort eines Nikolaus Warken auf die teilweise unmenschlichen Lebensbedingungen der Bergleute war daher auch nicht der Ruf nach Revolution, Bildstock war nicht Trier. Der Hasborner Warken hat vermutlich mit dem Trierer Karl Marx wenig anfangen können. Das Bildstocker Protokoll, mit dem die Arbeiter im großen Streik von 1889 ihre Forderungen zusammenfassten, war daher auch kein revolutionärer Akt, sondern eine – vergebliche – Petition an den Kaiser.

Doch dabei beließ es Warken nicht. Trotz aller Rückschläge übernahm Warken am 28. Juli 1889 die Führung des neu konstituierten Rechtsschutzvereins für die bergmännische Bevölkerung des Oberbergamtsbezirks von Bonn. Seine Antwort auf Unrecht war nicht die Gewalt, sondern der Rechtsschutz. Seine Antwort auf Versammlungsverbote unter freiem Himmel war – man denke an Pragmatik und Schlitzohrigkeit – der Bau des Rechtsschutzsaals in Bildstock als zentraler Anlaufstelle der Arbeiterbewegung. Das erste Gewerkschaftshaus im Deutschen Reich entstand dabei – auch dies typisch saarländisch – durch die Eigeninitiative der Vereinsmitglieder, die jeweils eine Reichsmark und zwei Backsteine spendeten. Nach diesem Finanzierungsmodell sind vermutlich in den vergangenen 125 Jahren noch unzählige Anglerhütten, Schützenhäuser und Vereinsheime entstanden. Ich bin mir sicher, dass Nikolaus Warken für die schwierigeren Arbeiten häufiger mal einen kannte, der einen kannte, der das dann auch mal nach Feierabend „so“ gemacht hat – auch eine historischen Kontinuität in unserer Region.

Der historischen Wahrheit geschuldet muss man hinzufügen: die Dankbarkeit seiner Zeitgenossen hielt nicht sehr lange. Nach einem fehlgeschlagenen Streik 1893, der zur Entlassung vieler Bergleute, insbesondere von Aktivisten des Rechtsschutzvereins, führte, wurde Warken für die Niederlage verantwortlich gemacht und als Vorsitzender des Vereins abgewählt. Dies hielt jedoch den Niedergang des Vereins nicht auf. Der weit verbreitete Irrtum, durch die Abwahl des Vorsitzenden eine Niederlage besser verarbeiten zu können, hält sich jedoch bis heute – vor allem in Arbeiterparteien – immer noch hartnäckig. Das Ende des Vereins kurze Zeit nach dem Austritt von Nikolaus Warken macht eigentlich erst deutlich, welche Bedeutung der Arbeiterführer für den Rechtsschutzverein hatte: Ohne ihn kein Verein – so war es erst einmal.

Doch die Ideen des Rechtsschutzvereins waren in der Welt. Auch der Historiker Mallmann ist sich sicher: Auch wenn Warken seinerzeit gescheitert sei, er und die von ihm geprägte Streikzeit war in Erzählungen und Berichten im Nachhinein lebendig geblieben. Diese bildeten die Grundlage für den endgültigen gewerkschaftlichen Aufbruch zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Saargebiet. Nicht zuletzt Nikolaus Warken selbst urteilt aus der Perspektive des Jahres 1914: „Und haben wir auch für uns nicht das erreicht, was wir hofften, so haben wir doch ehrlich und mit aller Kraft für unsere Nachkommen gekämpft, also unsere Pflicht getan.“

Wer im Saarland jemanden ehren will, der die besondere Bedeutung des Rechts für das menschliche Miteinander hervorheben soll, und Menschen ehren will, die einen großen Beitrag zum Erhalt des Saarlandes, seiner Institutionen und einem gemeinschaftlichen Miteinander geleitstet haben, der kommt an Nikolaus Warken nicht vorbei.

Herzlichen Glückwunsch zum 1. Vordenkerpreis, herzlichen Glückwunsch zur Auswahl des 1. Preisträgers. Dem Vordenkerpreis, dem Saarländischen AnwaltVerein – Alles Gute und auf viele weitere Vordenker!

Roland Theis | Staatssekretär